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12. November

Cola-Verschlüsse
an Angelschnur
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Eigentlich
wollte ich gegen Mittag nur ein wenig am Strand entlang laufen... ich
schnappe mir meine Kamera - die nehme ich immer mit - gehe zur
südlichen Seite der Bucht, ziehe meine Schuhe aus und wate am
Meeressaum entlang.
Seit ein paar Tagen vermisse ich den kleinen Hundestrolch Perseus.
Seine Freundin Athene sehe ich oft. Auch heute läuft sie ein
Stück
neben mir her.
Beinahe wäre ich gegen eine Angelschnur gelaufen. Angeln
scheint
hier erlaubt zu sein. Es ist aber auch möglich, das es zwar
verboten ist, aber niemand sich daran hält. Es ist eine
eigenartige selbst gebastelte Angel-Anlage. Ein Stab, der in den Sand
gesteckt worden ist, oben mit
3 Furchen über die Angelschnüre laufen. Damit
Spaziergänger die Angel-Anlage
nicht umlaufen hat der Bastler mehrere rote Plastikdeckel von
Colaflaschen an den Schnüren befestigt. Der Angler sitzt wohl
irgendwo, trinkt Frappé oder sonnt sich.
Ich steuere auf die Meerjungfrau an der Mole zu und
bemerke, dass irgend Jemand den Nixenmann aus seiner erhabenen
Position wieder in das Geröll geschubst hat. Da liegt er nun
mit
geborstener Brust und seinem nicht vorhandenem Gesicht zwischen den
Steinen. Ein jämmerlicher Anblick. Am Ende der Promenade
auch zwei
Angler,
dieses Mal so richtig professionell, die Angelruten sehen teuer aus.
Es würde mich interessieren, ob die Fische den Köder
der
selbst gebastelten Angel oder der professionellen Angel bevorzugen.
Heute scheint der Wasserstand
niedriger zu sein, weil der Platz zwischen Böschung,
Geröll
und Meer breiter ist als sonst. Ich beschließe, spontan wie
ich
nun mal
bin, direkt über das Geröll weiter zu gehen.
Irgendwo, ein
paar hundert Meter weiter, soll es einen schönen Sandstrand
geben,
der zu dem Hotel
"Plataria-Beach"
gehört - hat mir Vangelis mal
gesagt. Den will ich mir ansehen.
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Also
balanciere ich, zunächst recht vorsichtig, von einem Stein
zum anderen, gehe gebückt unter Sträuchern hindurch,
die ich
nicht genau identifizieren kann. Die Blätter sehen aus wie
Lorbeerblätter, die Früchte allerdings wie Eicheln,
das muss
ich mal recherchieren. Langsam werde ich mutiger und tänzel
geradezu über das Geröll - wie gut, dass ich
jahrelang
Ballettunterricht hatte.
Allmählich wird es enger, das Geröll massiver. Hier
komme ich
nicht weiter, stehe auf einem großen Stein, doch mit einem
Schritt erreiche ich den nächsten Stein nicht, muss durch
das Wasser gehen.
Da steh' ich nun mit meinen
Leder-Stiefeletten. Barfuss traue ich mich nicht über die
glitschigen Steine zu gehen, ich könnte ausrutschen oder mich
an
See-Igeln und spitzen Steinen verletzen. Nacheinander,
jeweils
auf
einem Bein stehend,
ziehe ich mir Schuhe und Strümpfe aus, die Schuhe wieder an
und
setze vorsichtig einen Fuß nach dem anderen in das recht
warme
Wasser. Das geht prima, die Schuhe werden schon irgendwann wieder
trocken. Bin gespannt, ob hinter der nächsten Biegung sich
die Bucht mit dem schönen Strand öffnet. |
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Oh,
ja es öffnet sich eine wunderschöne Bucht, doch
von Sandstrand ist nichts zu sehen. Also stolpere ich mehr oder weniger
von Stein zu Stein weiter, mitunter im Wasser. Die Sonne heizt meinen
Rücken ein, ich habe Durst, freue mich in dem Hotel Wasser und
einen Cappuccino zu trinken. Doch, ich habe gar kein Geld mitgenommen,
stelle ich fest,
wollte ja nur kurz an den Strand. Inzwischen ist einige Zeit vergangen,
sicherlich so ca. zwei Stunden, habe natürlich auch meine Uhr
nicht
mitgenommen und bin ziemlich
erschöpft. Ich überlege, dass ich mir in dem Hotel
ein Taxi
bestelle, der Taxifahrer könnte erst mal mein Getränk
bezahlen, er bekommt das
Geld ja dann von mir, wenn er mich zuhause absetzt. - Gute Idee, denke
ich und stolpere weiter.
Die nächste Bucht öffnet sich, sie ist
wunderschön, aber
Strand sehe ich immer noch nicht. Ein paar Wohnwagen stehen dort, es
ist ein Campingplatz, das macht
mir Hoffnung, wenigstens dort schon mal was trinken zu können.
Pustekuchen! Keine Menschenseele, ich vergesse, dass wir ja
hier Winter haben, mir ist jedoch sehr heiß.
Schließlich
entdecke
ich Dusch-Anlagen, dort gibt es Waschbecken und
Wasser ...
Wasser ... ich trinke aus der hohlen Hand, das tut gut.
Ich beschließe meine Wanderung zu beenden und den direkten
Weg
nach oben zur Hauptstraße zu gehen. Pustekuchen! Hohe
Zäune, hohe geschlossene Pforte. Also zurück zum
Geröll.
Mehrere Katzen begleiten mich. Oh, wunderbares Griechenland, da steht
ein Orangenbaum. Ich pflücke mir eine Orange, schäle
sie und
beiße in das etwas säuerliche Fruchtfleisch. Die
Orangen
sind wohl noch nicht ganz reif, aber nach
drei Orangen geht es mir wieder blendend.
Hinter der nächsten Biegung blicke ich in eine kleine
wunderschöne Bucht mit einem Sandstrand. Am liebsten
würde
ich hier eine längere Pause einlegen, doch es scheint ein
privates
Grundstück zu sein. - Endlich Menschen!!!
Ein älterer Mann, der dort am Strand hockt, im Wasser schwimmt
seine Frau.
Ich frage die beiden, wie ich zur Hauptstraße gelange.
"Da müssen Sie nur ein kleines Stück weiter am Wasser
entlanggehen,
dann kommt rechts ein Weg, der führt nach oben."
Ich stolpere also weiter, doch einen Weg
nach
oben entdecke ich nicht. Vielleicht ist er ja hinter der
nächsten Biegung. Pustekuchen! Wieder eine schöne,
diesmal
recht große Bucht. Am Ende erkenne ich Häuser und
eine
Straße. Das muss es sein, denke ich und
plage mich weiter durch das Wasser über Felsbrocken hinweg,
die
immer größer werden, unter
Büschen hindurch, deren Äste die Haut an Armen und
Rücken auf kratzen - die Sonne Griechenlands brennt
erbarmungslos.
Je näher ich zum Ende der Bucht gelange umso deutlicher
erkenne
ich, dass ich aufgeben muss. Riesige scheinbar unüberwindliche
Felsbrocken ragen in das Meer, kein Streifen mit kleinerem
Geröll
zu
sehen. Eine herrliche wildromantische Küste. Doch mir wird
bange,
ich trau mich nicht weiter zu gehen. Zurück? Der Weg hierher
war
sehr
anstrengend, die Sonne steht schon recht tief.
Mein Gehirn rotiert, ich fühle mich strandbrüchig,
kein
Wasser, nichts zu essen, die Nacht könnte kalt werden. Meine
Jeans
sind, obwohl ich sie bis zu den Knien hochgekrempelt hatte, nass
geworden. Keine Chance, dass hier Jemand vorbeikommt, mich
wärmt
und tröstet. Ich werde jämmerlich zugrunde gehen,
Schlangen
werden sich über mich her machen und irgendwann wird ein
Spaziergänger meine Kamera entdecken und ein kleines Skelett
mit
einem sehr schön geformten Schädel. (Habe mal eine
Röntgenaufnahme von meinem Schädel gesehen und war
fasziniert).
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Jetzt
führe ich auch noch Selbstgespräche: "Gundula,
reiß
dich zusammen, schau dich um, überlege!" Ich sehe den Hang
hinauf,
entdecke eine breite Spur, die wohl eine Planierraupe in den Hang
gefräst hatte. Die Spur ist in der gleichen Höhe, wie
der
Beginn der Straße, die ich doch so nah vor mir sehe. Ich
klettere
den Hang hinauf, folge der Spur. Quatsche so vor mich hin, schimpfe mit
mir. Meine Schuhe quatschen mit ... quatsch, quatsch ... quatsch,
quatsch.
Blick von der Planierraupen-Spur auf das Ende der Bucht. Dort wollte
ich eigentlich noch hin gehen.
Die Spur endet vor einem undurchdringlichen Dickicht. Ich habe kein
Buschmesser und keinen Wanderstab dabei. Mir wird mit
aller Deutlichkeit klar, dass mir nichts anderes übrig bleibt,
als
am Wasser den langen Weg zurück zu stolpern.
Und so setze ich bald, schon fast mechanisch aber vorsichtig wieder
einen
Schritt vor den anderen. Auf keinen Fall darf ich ausrutschen, ich
könnte mich verletzen ... die Schlangen würden sich
freuen ...
ja, ich hör' ja schon auf ... Meine linke Ferse
brennt, ist
aufgescheuert. So humpele ich weiter und weiter. Endlich gelange ich
an den kleinen schönen Sandstrand. Hoffnung flammt auf,
vielleicht ist das ältere Paar noch dort. Der Strand ist
menschenleer, wie gern würde ich eine Pause einlegen, doch ich
habe noch einen weiten Weg vor mir. Die angrenzenden Häuser
könnten bewohnt sein.
Während ich um die Häuser humpele rufe ich ein paar
mal laut:
"Hallo, ist da jemand!" Pustekuchen! Es sind leer stehende
Ferienwohnungen, schließlich
haben wir hier Winter! An einer Dusche
drehe ich den Hahn auf, versuche ein paar Tropfen Wasser in meiner Hand
aufzufangen. Ich habe Durst und Hunger. |
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Ich
gehe bergan durch die Wohnanlage, hoffe einen Weg zur Straße
zu
finden. - Bingo! Aber eine hohe Pforte, die natürlich
verschlossen
ist, versperrt den Weg. Ein großes Schild weist darauf hin,
dass
das hier eine Hotel-Anlage mit Namen "Plataria-Beach" ist.
- Na, dort
wollte ich doch eigentlich hin! Mir wird klar, der kleine
schöne Sandstrand unten, das
war der Strand, den ich aufsuchen wollte und ich glaubte, dass es ein
privates Grundstück sei.
Links neben der Pforte kann ich über eine kleine Mauer, auf
deren
Krone ein Ziergitter mit in die Höhe ragenden Spitzen
befestigt
ist, rüber klettern. Ich stehe auf einer Straße.
Langsam
humpele ich den Berg hoch und gelange endlich auf die
Hauptstraße
nach Plataria.
Mit meiner kaputten Ferse nach Plataria zu gehen, scheint mir nicht
möglich. Also versuche ich ein Auto zu stoppen und schon das
dritte Auto hält, nimmt mich mit. Ich fühle mich
unwohl - so
wild, wie ich aussehe. Die nassen Schuhe, die hochgekrempelte nasse
Jeans,
meine Arme zerkratzt von den Büschen unter denen ich mich
durch mühte und wie meine Haare aussehen, will ich lieber
nicht
wissen. Der Fahrer, ein gut aussehender
Grieche, der ein wenig Englisch spricht, nimmt mich trotzdem mit, setzt
mich in der City von
Plataria ab.
Es war sehr leichtsinnig von mir, diesen Weg zu gehen. Der Wasserstand
ändert sich alle 6 Stunden. Nicht einmal mein Handy hatte ich
bei
mir, sonst hätte ich Vangelis anrufen können, falls
mir etwas
passiert wäre. Er hätte bestimmt ein Boot zu meiner
Rettung
geschickt.
Ich humpele den kleinen Flussweg zu meiner Wohnung und habe zum ersten
Mal das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Noch scheint die Sonne auf die Terrasse. Ich pflege meine kaputten
Füße, richte mir ein Teller mit Brot, Käse
und Salami
her und setze mich in die Sonne, die langsam hinter den Bergen von
Plataria verschwindet und die kleinen Wolken am Himmel und meine Seele
rosa
einfärbt.
Inzwischen ist es dunkel geworden und über den Bergen von
Plataria
geht der Mond auf. Mit einem Glas Rotwein in der Hand schaue ich mir
den Mond und die Sterne an und denke an einen lieben Freund in Berlin,
der heute Geburtstag hat. Vielleicht steht er auch gerade auf seinem
Balkon und schaut den Himmel an.
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